erdenpolis

21. Dezember 2006

Die Quellen der Freiheit


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Was fehlt ?

Josef Joffe hat im Doppelheft 9/10 2006 des Merkur unter dem Titel „Was fehlt? – Schlag nach bei Börne“ eine Analyse der geistigen Situation in Deutschland veröffentlicht. Er konstatiert darin, dass wichtige „Gegenstromanlagen“, die „quer zum vertrauten Gedankenfluß stehen“, fehlen:

Es fehlt ein empirisches und kritisches Denken. Das heutige deutsche Denken steht in der Tradition des Bauens von Systemen, die nicht empirisch auf ihre Tragfähigkeit abgeklopft werden können. Die deutschen Denkkathedralen werden von oben nach unten gebaut und stützen sich nicht, wie in der an­gelsächsischen Welt, auf Empirie, sind nicht überprüfbar.

Deshalb fehlt auch eine liberale Tradition, die dem Einzelnen Vorrang vor dem Kollektiv einräumt, in der der Staat Schiedsrichter ist und nicht moralische Anstalt.

Politisch fehlt eine respektable, wandelheischende Rechte, die, wie in der angelsächsischen Welt be­reits in den achtziger Jahre, schmerzhaftes Umsteuern propagiert und durchsetzen kann.

Es fehlen die Wege für Eindringlinge, auf denen sie sich ihre Plätze in der Gesellschaft schaffen kön­nen.

Es fehlt ein Universitätssystem als Aufstiegsleiter, das die Besten fordert und fördert.

Das Prinzip des Egalitären ist den Nachkriegsdeutschen so heilig geworden wie den Muslimen die Kaaba von Meeka. Und gerade deshalb ist Deutschland heute ein Land, in dem die, die aus dem Sys­tem herausgefallen sind oder nie drinnen waren, vor geschlossenen Türen steht. Es ist ein Land, dem Unternehmergeist fehlt, das aber Unternehmergeist weder nachfragt nach begünstigt.

Joffe findet seine Kritik am heutigen Deutschland in der Kritik wieder, die Carl Ludwig Börne gegen Goethe gerichtet hat: gegen den Stabilitätsnarren und dessen Hass auf das Werdende, das Bewegliche, das Strebende und Widerstrebende. Joffe schließt damit, dass der große Dichter und Denker Goethe eine von den Festungen der Stabilität ist, „die noch heute zuhauf in der Bundesrepublik herumstehen und zu langsam geschleift werden.“

Die Freiheit im deutschen Denken

Joffes Kritik am heutigen Deutschland ist zweifellos berechtigt. Er muss sich jedoch fragen lassen, wie die von ihm genannten Probleme überwunden werden können. Er scheint der Meinung zu sein, dass die deutsche geistige Tradition noch nicht ausreichend vernichtet worden ist. Auch die Festung Goethe müsse noch vollständiger geschleift werden. (more…)

8. November 2006

Die Aufgabe des naturwissenschaftlichen Unterrichts (I)

Filed under: Bildung — hkrug @ 16:03

Zur Debatte um die Behandlung der Schöpfungslehre im Biologieunterricht sind in diesem Blog bereits zwei Beiträge erschienen: Trennung von Wissenschaft und Glaube und Der gläubige Professor. Dem Verfasser wurde von evolutionsbiologischer Seite vorgehalten, dass es nicht verständlich sei, warum weltanschauliche und religiöse Fragen im Biologieunterricht behandelt werden sollen. Denn „der Wissenschaftsunterricht ist der Wissenschaftspropädeutik, d.h. der Lehre der Erkenntnisse und Methoden wissenschaftlicher Vorgehensweise verpflichtet.“

Letzteres wird auch von kreationistischer Seite zitiert und unterstützt: „Der naturwissenschaftliche Fachunterricht hat das gesicherte Wissen unserer Zeit zu lehren und die notwendigen Prinzipien wissenschaftlicher Forschung und Theoriebildung zu vermitteln.“

In fachwissenschaftlichen Fragen tauschen beide Seiten, Evolutionsbiologen und Kreationisten, intensiv Argumente und Begründungen aus. Dasselbe gilt auch in Fragen der wissenschaftlichen Methodik und der Reichweite wissenschaftlicher Aussagen. In dieser zentralen pädagogischen Frage jedoch, der Frage der Aufgabe des naturwissenschaftlichen Unterrichts, wird von beiden Seiten die Antwort einfach angenommen, ohne Begründung, quasi als Axiom. Das verwundert sehr, weil doch ein pädagogisches Thema diskutiert wird und kein fachwissenschaftliches, nämlich: Wie soll die Evolutionslehre den Schülern vermittelt werden? Beide Seiten diskutieren diese eminent pädagogische Frage auf nicht-pädagogische Weise. (more…)

7. November 2006

Der Professor und seine Ministerin (II): Der gläubige Professor

Filed under: Bildung — hkrug @ 19:12

Aus dem vorangehenden Text zur „Trennung von Wissenschaft und Glaube“ sollte bereits deutlich geworden sein, dass es hier nicht darum geht, in dem Streit zwischen Evolutionstheorie und Kreationismus Partei zu ergreifen. Wenn der Autor Partei ergreifen würde, dann auf Seiten der Evolutionsbiologen, weil er, wie diese, davon ausgeht, dass ein übernatürlicher Einfluss auf die Naturprozesse wissenschaftlich nur dann angenommen werden darf, wenn er beobachtet werden kann. Ziel dieser Texte ist vielmehr, einen Versuch, von Seiten der Universitätswissenschaft Einfluss auf die Erziehung heranwachsender Menschen zu nehmen, zurückzuweisen – einen Versuch, der zwar von biologischem Fachwissen getragen ist, nicht aber von Kenntnis der Ziele und Wege der Unterrichtung junger Menschen.

In dem vorliegenden Text soll dieser Mangel hinsichtlich eines weiteren Aspekts der Kritik von Prof. Kutschera an den Äußerungen der Ministerin Wolff aufgezeigt werden. (more…)

Der Professor und seine Ministerin (I): Trennung von Wissenschaft und Glaube

Filed under: Bildung — hkrug @ 19:08

Die Fakten

Der Kulturkanal ARTE hat am 19.9.2006 eine Sendung zum christlichen Fundamentalismus in Europa ausgestrahlt. Dort wurde unter anderem gezeigt, dass im Biologieunterricht zweier Schulen in Gießen bei der Behandlung der Evolutionstheorie die christliche Schöpfungslehre als alternative Lehre diskutiert wurde (Spiegel). Das Gießener Schulamt leitete daraufhin Untersuchungen ein, die am 10.10.2006 abgeschlossen wurden. Im Ergebnis dieser Untersuchungen sagte einer der betroffener Lehrer zu, missverständliche Äußerungen zu Glaubensfragen in Zukunft zu unterlassen. Jedoch wurde bestätigt, dass die Auseinandersetzung mit religiösen oder philosophischen Fragen im Biologieunterricht ausdrücklich erwünscht ist (hr).

Die hessische Kultusministerin Karin Wolff, eine ehemalige evangelische Religionslehrerin, kommentierte diese Vorgänge mit der Aussage, dass christliche Schöpfungsvorstellungen auch im Biologieunterricht behandelt werden sollen und dass es zulässig sein müsse, die Evolutionstheorie in Frage zu stellen.

Diese Äußerungen veranlassten Ulrich Kutschera, Professor an der Universität Kassel und Vizepräsident des Verbands der Deutschen Biologen, im Verein mit einigen Kollegen die Ministerin in einem offenen Brief zu kritisieren. Er plädiert darin für eine strikte Trennung von naturwissenschaftlichem und weltanschaulichem Unterricht, „weil sonst kaum kontrolliert werden kann, wann“ Auseinandersetzung mit weltschaulichen Inhalten in Indoktrination umschlägt. Die zuständigen Aufsichtsbehörden müssen diese Trennung sicherstellen. Weltanschauliche Aspekte gehören in den Religions- und Philosophieunterricht. Biologielehrer sind dazu nicht qualifiziert. Der naturwissenschaftliche Fachunterricht habe das gesicherte Wissen unserer Zeit zu lehren und die notwendigen Prinzipien wissenschaftlicher Forschung und Theoriebildung zu vermitteln. (more…)

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